Historisches zur Stadt Bernau bei Berlin

Belagerung trotz Besteuerung – Hussiten vor den Toren und die Steuerpolitik des Heiligen Römischen Reiches im 15. Jahrhundert

Als im April 1432 ein Heer der Hussiten durch Brandenburg zog, hatten die Bürger Bernaus andere, drängendere Sorgen, als die finanziellen Schwierigkeiten des Kaisers. Dabei gerieten die Einwohner einer kleinen deutschen Stadt unwissentlich in die Mitte eines europäischen Strukturwandels, der die Geschichte des Heiligen Römischen Reiches entscheidend prägte.

Johannes Hus, ein böhmischer Priester und ab 1409 Rektor der Prager Universität, der mit seiner Kritik an der Fülle des weltlichen Besitzes der Kirchenfürsten an den Säulen päpstlicher Macht gerüttelt hatte, wurde 1410 exkommuniziert und am 6. Juli 1415 als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt. In der Folge verstärkten sich die Spannungen zwischen seinen Anhängern, den Hussiten, und den übrigen böhmischen Katholiken. Nach dem ersten Prager Fenstersturz von 1419, bei dem die Hussiten das Rathaus der Prager Neustadt stürmten und Offizielle der Stadt aus den Fenstern warfen, entbrannte ein bewaffneter Konflikt zwischen den Parteien. Der böhmische König Wenzel bekämpfte ihre Bewegung erfolglos, sodass sich Papst Martin V. gezwungen sah, zum Kreuzzug gegen die Hussiten aufzurufen. Als die Kreuzzugsheere empfindliche Niederlagen erlitten, erklärten die Hussiten den neuen böhmischen König Sigismund (in Personalunion auch römisch-deutscher Kaiser), Wenzels Halbbruder und Erben, für abgesetzt.

Diese Niederlagen stürzten das Reich in eine Krise und offenbarten strukturelle Defizite in der Organisation der Reichsverteidigung – der Kaiser besaß kein stehendes Heer, das der Bedrohung durch die Hussiten gewachsen gewesen wäre. Als von den Kurfürsten gewählter Herrscher verfügte er nur über begrenzte Machtmittel, um das große und in viele Fürstentümer zersplitterte Reich zu regieren, mit deren Territorialherren er beständig um seine Kompetenzen ringen musste. Nicht geneigt, mehr von ihrer Souveränität als notwendig abzugeben, suchten die Fürsten ihren Einflussbereich gegen Eingriffe aus Kaiserhand abzuschirmen. Ohne ihre Duldung hatte sich kein einheitliches reichsweites Steuersystem entwickeln können und die Einnahmequellen des Kaisers, der oft Schulden machte und auf Notsteuern zurückgreifen musste, waren begrenzt. Vor diesem Hintergrund war ein großes stehendes Heer als eine unzumutbare finanzielle Belastung erschienen, da das Reich zwar regelmäßig mit Konflikten zwischen den Fürsten, aber nicht mit großen äußeren Mächten konfrontiert war. Unter dem Eindruck der Bedrohung durch die Hussiten war das weitgehend lastenfreie Dasein der Fürsten nicht mehr tragbar – ohne finanzielle Solidarität und eine militärische Kraftanstrengung drohte das Reich zu zerfallen.

Zu gemeinsamem Handeln gezwungen, einigten sich die Reichsglieder in der ersten Reichsmatrikel von 1422 auf eine „Glevenhilfe“, die zur Aufstellung von Truppen verpflichtete und nur ersatzweise durch Zahlung einer Geldleistung abgelöst werden konnte. Nachdem die Hussiten 1426 ihre Angriffe noch verschärften und unter anderem nach Österreich, Bayern, Sachsen und Brandenburg vordrangen, entschied man sich zur Aufstellung eines Söldnerheeres. Um diese Armee zu finanzieren, einigte man sich 1427 auf eine allgemeine Reichssteuer, die sogenannte „Hussitensteuer“, die allen Reichsangehörigen ab dem 15. Lebensjahr auferlegt werden sollte. Christen und Juden wurden getrennt besteuert, wobei die Juden mit einer unverhältnismäßig höheren Kopfsteuer belegt wurden. Zusätzlich zur Kopfsteuer für christliche Laien und Juden wurden die Adelsstände mit einer ständischen Personalsteuer (abhängig vom Titel der Person – ein Graf sollte mehr zahlen, als ein Ritter), Besitzer von Erbgütern mit einer Vermögenssteuer und der Klerus mit einer Einkommenssteuer belegt. Um die Steuern zu erheben, wurde eine vierstufige Verwaltung begründet, an deren Spitze eine neunköpfige Kommission aus Kurfürsten und Vertretern der Reichsstädte stand, die mit einem Vertreter des Militärs in Mehrheitsbeschlüssen über die Verwendung der Steuergelder entscheiden sollte.

Die tatsächlich erzielte Steuersumme blieb jedoch weit hinter den Erwartungen des Kaisers zurück, dem es noch immer nicht gelang, die Bedrohung durch die Hussiten einzudämmen. 1432 zogen die Hussiten durch die Mark Brandenburg und vor die Tore Bernaus. Die Verteidiger, die auf baldige Hilfe aus dem Reich nicht zu hoffen brauchten, waren auf sich gestellt, um eine Eroberung und anschließende Plünderung der Stadt zu vereiteln. Nach einem missglückten Angriff am 23. April 1432 trat das Heer der Hussiten in den folgenden Tagen den Rückzug aus der Region an.

Die erfolgreiche Verteidigung Bernaus erwies sich jedoch nur als eine gewonnene Schlacht in einem Krieg, dessen Ausgang noch unsicher war. Unfähig, das gesammelte Heer der Hussiten mit militärischer Macht zu schlagen, sah Kaiser Sigismund sich schließlich gezwungen, Friedensverhandlungen mit den Hussiten einzugehen. Nach internen Machtkämpfen, in denen die radikalen Taboriten den gemäßigten Utraquisten unterlagen, kam es 1436 zu einer friedlichen Beilegung des Konfliktes und zu einer Anerkennung Sigismunds als rechtmäßiger böhmischer König.

Die „Hussitensteuer“ sollte jedoch nicht die letzte allgemeine Reichssteuer bleiben. 1495, bedroht durch einen türkischen Einmarsch in Ungarn im Osten und den französischen König Karl VIII. im Westen, sah Kaiser Maximilian I. sich gezwungen, das Steuervorhaben neuerlich zu beleben. Dem „Gemeinen Pfennig“ von 1495 war nicht viel mehr Erfolg beschieden als der „Hussitensteuer“ von 1427. Wie auch Sigismund scheiterte Maximilian an internen Widerständen – gezahlt wurde nur unzureichend und unzuverlässig, da die Reichsstände, allen voran die Territorialherren und Reichsritter, bemüht waren, die Steuer zu vereiteln und von Maximilian umfangreiche Zugeständnisse forderten. Da aber auch spätere Kaiser in finanzielle Bedrängnis gerieten, wurden die Ideen der Vorgänger im 16. Jahrhundert erneut aufgegriffen und erweitert. Diese frühen Steuerprojekte stehen am Anfang einer Entwicklung, die es möglich machte, dass das Heilige Römische Reich den Dreißigjährigen Krieg überdauerte und bis in das frühe 19. Jahrhundert bestand. Die Reichssteuer prägte so entscheidend die Entwicklung Mitteleuropas bis in die Neuzeit und ist in nicht unwesentlichem Maße verantwortlich für die Ordnung, wie wir sie heute kennen. Die „Hussitensteuer“ mag den Bernauern 1432 nicht geholfen haben – das moderne Bernau würde ohne sie aber vermutlich nicht in der Form existieren, wie wir es heute kennen.

 

Dieser rechtsgeschichtliche Aritkel wird mit freundlicher Unterstützung des stud. iur. Richard Seibt, Humboldt Universität zu Berlin, zur Verfügung gestellt.

Kategorie: Aktuelles